Zitate von Michel de Montaigne
page 9
Man tut dem großen und allmächtigen Geber der Gaben unrecht, wenn man seine Gnaden ausschlägt, zunichte macht und herabsetzt. Er, der Allgute, hat alles gut gemacht.
Es ist alberner Dünkel, das zu mißachten und als falsch anzunehmen, was uns nicht wahrscheinlich dünkt.
Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.
Geschäfte, die weniger wichtig sind, brauchen deshalb noch nicht weniger lästig zu sein.
Die Schriften der Alten, die guten Schriften von Kraft und Saft, können mich fast zu allem bewegen, wozu sie wollen, und diejenige Schrift, die ich gerade lese, scheint mir jedesmal die Überzeugendste. Ich finde, daß sie alle der Reihe nach Recht haben, mögen sie sich auch oft widersprechen.
Es bedarf keiner Veranlassung, um unsern Geist zu beunruhigen, ein Traum ohne Beweggrund und ohne Stoff regiert und erschüttert ihn.
In den Äußerlichkeiten kann man Dichtung nach Kunstregeln bewerten, aber das Gute, das Höchste, das Gottbegnadete an ihr ist erhaben über Gesetz und Vernunft.
Nicht der, den andere für zufrieden halten, ist es, sondern der, der sich selbst so fühlt.
In der Freundschaft gibt es kein Geschäft und keinen Handel, sie beschäftigt sich ausschließlich mit sich selbst.
Es ist jetzt nicht die Zeit, von dem zu sprechen, was ich verstehe, und auf dasjenige, wozu es jetzt Zeit wäre, verstehe ich mich nicht.
Mit allen Kräften müssen wir uns die Freuden des Lebens zu erhalten suchen, die uns die Jahre, eine nach der anderen entreißen.
Wenn man die Form der Gerechtigkeit betrachtet, die uns regiert, so hat man ein Zeugnis menschlicher Dummheit, so viele Widersprüche und Irrtümer findet man darin.
Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört.
Gute Untertanen haben vielleicht respektvoll und treu einem Herrn gedient, obwohl sie sehr wohl wußten, wie unvollkommen er war; damit haben sie Ruhm verdient.
Ich fürchte, die Natur hat dem Menschen selbst einen Zug zur Unmenschlichkeit eingepflanzt.
Wer den Aufruhr angestiftet hat, hat später gewöhnlich nichts davon; er rührt nur das Wasser auf für andere, die dann im Trüben fischen können.
Kein Mensch ist so vollkommen, daß er nicht zehnmal in seinem Leben den Galgen verdient hätte, wenn er alles, was er getan und gedacht hat, einer strengen gesetzlichen Prüfung aussetzen müßte.
Was das Befehlen betrift, so muß man bedenken, wie unzulänglich menschliches Urteil und wie schwierig die Wahl in neuen und zweifelhaften Angelegenheiten ist. Ich bin daher der Meinung, daß es leichter und erfreulicher ist, zu folgen, als zu leiten.
Unsere Nation ist seit langem mit diesem Laster verrufen: denn Salvanus Massiliensis, der zur Zeit Kaiser Valentinians lebte, sagt, „bei den Franzosen ist Lügen und Meineid kein Laster, sondern eine Redensart.“ Und wer dies Zeugnis ergänzen wollte, kann sagen, daß es heute Tugenden sind.
Bei dem ehrbaren Geschäft der Ehe ist der Geschlechtstrieb in der Regel nicht so munter; da ist er trüber und stumpfer.
Der Körper kann große Lasten tragen, wenn man ihn strafft. Mit der Seele ist es ebenso.
Das eigentliche Lebensglück, das in geistiger Ruhe und Zufriedenheit und seelischer Geradheit und Sicherheit besteht, darf man nie einem Menschen zusprechen, ehe man nicht gesehen hat, wie er den letzten und zweifellos schwierigsten Akt im Schauspiel seines Lebens spielt.
Jeder weiß aus Erfahrung, daß die fortgesetzte Gemeinschaft nicht dieselbe Freude bieten kann, als wenn man sich immer einmal entbehrt und dann wieder hat.
Wenn Berufspolitiker einen Auftrag übernehmen, so verdecken sie gewöhnlich ihre wirklichen Absichten.
Alle Tage dient mir das dumme Benehmen eines anderen zur Warnung und zur Belehrung; was sticht, trifft und weckt uns sicherer, als was uns angenehm ist.
So mancher wurde von der Welt bewundert, an dem seine Frau und sein Diener nichts besonderes fanden. Wenige Menschen sind noch von ihren Hausgenossen bewundert worden.
Was wir gewöhnlich Freunde und Freundschaft nennen, ist weiter nichts als eine durch Zufall zustande gekommene nähere Bekanntschaft, an die man sich gewöhnt hat und durch die ein gewisser geistiger Austausch erleichtert wird.
Wer die Qualen der Folter aushalten kann, sagt die Wahrheit nicht, und wer sie nicht aushalten kann, auch nicht.
Man braucht nicht immer alles zu sagen, das wäre Tölpelei. Aber was man sagt, soll so sein, wie man es denkt. Lieber will ich taktlos und unhöflich sein als schmeicheln und mich verstellen.
Man sollte fragen: wer eine wertvollere, nicht, wer eine größere Gelehrsamkeit aufweisen kann.
Die meisten Menschen verkennen die natürliche Krankheit ihres Geistes; er sucht nur spürend und bettelnd herum; er dreht sich immer im Kreise und verwickelt sich, wie die Seidenraupen, in das Gespinst, das er sich bildet.
Wenn ein Mann einer Frau verspricht, sie ewig zu lieben, dann setzt er voraus, daß sie immer liebenswert bleiben wird.
Im Gegensatz zur üblichen Ansicht scheint es mir naheliegender, daß wir Menschen alle verschieden sind, als daß wir alle gleich sind.
Man mag uns predigen, was man will, mögen wir lernen, was wir wollen, so muß man sich immer erinnern, daß es ein Mensch ist, der gibt, und ein Mensch, der nimmt; es ist eine sterbliche Hand, die gibt, und eine sterbliche, die nimmt.
Das heißt wirklich lieben: Jemand beleidigen und verwunden, um ihn zu bessern! Ich finde es hart, jemanden zu beurteilen, bei dem die schlechten Eigenschaften die guten überwiegen.
Das Wichtigste ist, Lust und Liebe zur Sache zu wecken, sonst erzieht man nur gelehrte Esel.
Mit den wirklich Gebildeten ist es wie mit den Kornähren. Solange sie leer sind, schießen sie hoch auf. Füllen sie sich in der Reife mit Körnern, so neigen sie sich demütig herab.