Zitate von Wilhelm Raabe
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Das entzückende Gefühl des richtigen Alters: Wenn ich den Krempel um mich her ansehe und sagen kann, das brauchst du ja nicht mehr.

Furcht ist nichts weiter als eine etwas prägnanter hervortretende Form der Äußerung des Eigennutzes.

Das ist das menschliche Leben! Bei den einen raucht der Ofen, wenn der Wind von Nordwesten, bei den anderen, wenn er von Südosten kommt.

Flüchtig sind des Menschen Auffassungen und Begriffe: was heute er so nennt wie gestern, ist heute nicht mehr das, was er gestern darunter verstand.

In der Dunkelheit geboren, blieb sie in der Dunkelheit, säugte ihr Kind, stellte es auf die Füße, lehrte es das Gehen; stellte es für das ganze Leben auf die Füße und lehrte es für das ganze Leben das Gehen. Das ist ein großer Ruhm, und die gebildetste Mutter kann nicht mehr für ihr Kind tun.

Erst am Abend erfährt der Mensch so recht, was ihn unter den Mühen des Tages aufrechterhalten hat.

Wer die oberste Hand hat, verwendet sie selten zum Streicheln, sondern gebraucht sie lieber fest als Faust.

Wer aus armen, niederen Häusern kommt, dem darf man es nicht vorwerfen, wenn er die erste Strecke seines Weges nur scheu und zögernd zurücklegt, wenn ihn Nichtigkeiten blenden, wenn ihn falsche Trugbilder verwirren, wenn ihn Irrlichter weglocken.

Die Zeiten gehen hin, und für jedermann kommen einmal die Jahre, wo er merkt, daß sie hingegangen sind, und er sich wundert, daß er nichts getan hat, sie aufzuhalten.

Mit dem Hunger nach der Unendlichkeit wird der Mensch geboren; er spürt ihn früh, aber wenn er in die Jahre des Verstandes kommt, erstickt er ihn meistens leicht und schnell.

O versucht es nur, Blumen zwischen die öden Blätter des Lebens zu legen; fürchtet euch nicht, kindisch zu heißen bei zu klugen Köpfen; ihr werdet keine Reue empfinden, wenn ihr zurückblättert und auf die vergilbten Andenken trefft! –

Der Mensch ist groß, wenn er menschlich ist; will er göttlich sein, wird er kindisch, und denkt er tierisch, wird er zum Vieh.

Ein Freund ist jemand, der deinen kaputten Zaun übersieht, aber die Blumen deines Gartens bewundert.

Die Leute behalten nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute, was sie vom Nächsten denken, bei sich, und so geht die Welt ihren Weg.

Je höher ein Mensch steht, desto häufiger hält ihm die Fratze Gemeinheit die Faust unter die Nase.

Und wenn der Mensch noch so gerne immer in das Fernste schweifen möchte; er wird doch immer wieder mit der Nase auf das Nächstliegende gestoßen.

Wir sollen die Liebe, welche wir den Toten mit ins Grab geben, nicht den Lebenden entziehen.

Wie will der Mensch etwas werden in dieser schlimmen Welt, wenn er sich nicht eine Leiter macht aus seinen Dummheiten?

Wunderliches Menschenvolk, so groß und so klein in demselben Augenblick! Welch‘ eine Tragödie, welch‘ ein Kampf, welch‘ – ein Puppenspiel jedes Leben!

Naturalismus: Die wundervollste Photographie ist nichts gegen das Bild eines wirklichen Künstlers.

Die Geschichte eines Hauses ist die Geschichte seiner Bewohner, die Geschichte seiner Bewohner ist die Geschichte der Zeit, in welcher sie lebten und leben, die Geschichte der Zeiten ist die Geschichte der Menschheit.

Ein klassisches Kunstwerk: Man sieht die Fäden nicht heraushängen, an denen die Puppen gezogen werden.

Dem ungebildeten Menschen erscheint alles als Einzelheit, dem gebildeten alles im Zusammenhang. Es gibt aber allerlei Nuancen.

Das Ewige ist stille, laut die Vergänglichkeit, schweigend geht Gottes Wille über den Erdenstreit.

Die Frage steht doch so: Sind wir der Menschheit wegen da oder ist die Menschheit unseretwegen da? Bis jetzt, soweit die historischen Zeiten reichen, ist das letzte der Fall gewesen.

Des Menschen Dasein auf der Erde baut sich immer von neuem auf, doch nicht von dem äußersten Umkreis her, sondern stes nur aus der Mitte.

Man kann auch heute noch mancherlei Beruhigendes erfahren und erleben, man warte nur einmal möglichst ruhig die nächste Stunde ab.

Aus der Tiefe steigen die Befreier der Menschheit; und wie die Quellen aus der Tiefe kommen, das Land fruchtbar zu machen, so wird der Acker der Menschheit ewig aus der Tiefe erfrischt.

Meine Tante teilt die Bücher in zwei Arten: gute, über welchen sie nach Tisch einschlafen kann, und schlechte, bei denen es nicht geht.

Es ist recht häufig viel besser, die Bedrängten sich ausreden und ausschreien zu lassen, als ihnen zur Geduld zu reden und zu raten.

Ich glaube an keine Offenbarung als die, die wir im Auge des geliebten Wesens sehen. Sie allein ist wahr, sie allein ist untrüglich; in dem Auge der Liebe allein schauen wir Gott von Angesicht zu Angesicht.

Was man von der Mutter hat, das sitzt fest und läßt sich nicht ausreden, das behält man, und das ist auch gut so, denn jeder Keim der sittlichen Fortentwicklung des Menschengeschlechts liegt darin verborgen.

Stelle keine überflüssigen Fragen in betreff der Schicksale anderer an die Zukunft, sondern beschäftige dich fürs erste möglichst intensiv mit dem, was vor deiner eigenen Nase liegt.

Die deutsche Nation gibt mehr für papierne Vatermörder und Halskragen aus als für bedrucktes Papier.

Sehnt sich das Erdenkind nach einem höheren, seligeren Glück, seiner weiteren, unbekannten Heimat, so nennt es sein Sehnen – Glaube -; sehnt es sich nach einem verlornen, irdischen Glück, so nennt es sein Sehnen – Heimweh! –