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Der Wirklichkeit "ins Auge" blicken. Was kann dabei schon herauskommen? Höchstens ein Selbstporträt.
Rainer KohlmayerRegietheater. - Jahrelang hat man die Klassiker interpretiert. Jetzt kommt es darauf an, sie zu verändern.
Rainer KohlmayerGeschlechtsspezifische Komplimente. - Er findet sie herrlich, sie findet ihn dämlich.
Rainer KohlmayerCasanova. - Nach sechs Monaten Zuchthaus wegen Polygamie wurde er entlassen. Er galt als polyzahm.
Rainer KohlmayerEhebündnis. - "Er ist mit einer Fahnenstange verheiratet. Sie zeigt immer die gleiche aufrechte und hölzerne Treue."
Rainer KohlmayerJeder hat das Zeug zum Kolumbus. - Der Vorteil eines schlechten Gedächtnisses ist, daß man mehr Entdeckungen macht als andere Leute.
Rainer KohlmayerDer Redakteur bezeichnete seine Freundin als Wochenendbeilage: Hochglanz, anregend, unverbindlich.
Rainer KohlmayerParadoxe Symmetrie. - Reichtum und Armut haben eines gemeinsam: Beide sind Vergrößerungsgläser für Tugenden und Laster.
Rainer KohlmayerCasanovas Hypothese. - Das Lächeln der Mona Lisa sei gar nicht so rätselhaft, meinte er. "Leonardo hat das Kopfkissen übermalt."
Rainer KohlmayerHosen runter. - Tatsachen sind nackt. Lügen dagegen erkennt man daran, daß sie sich keine Blöße geben wollen.
Rainer KohlmayerWelche Unterschiede gibt es zwischen den Einwohnern Deutschlands? - Die Nachrichten unterscheiden zwischen "Personen", "Menschen" und "Bürgern". Ob das immer mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
Rainer KohlmayerDer Vamp. Die Frau. Das Weib. - Die deutsche Sprache verhindert mit ihren willkürlichen Genusartikeln, daß die Allmacht der Geschlechtlichkeit im Bewußtsein Fuß faßt. Ein neurotisches Ablenkungsmanöver.
Rainer KohlmayerJungwissenschaftler auf der Suche nach einer Seilschaft. - Sein Aufsatz besteht aus Verbeugungen in alle Himmelsrichtungen und endet mit einem höflich lächelnden Abgang - nach rückwärts auf allen Vieren.
Rainer KohlmayerEr drückte sich vor dem offenen ins gedruckte Wort. Wer den Druck der Welt nicht aushält, kann sich in der Welt des Druckes austoben.
Rainer KohlmayerCogito ergo sum auf Deutsch? - "Die Selbstreflexion des Subjekts erzeugt denknotwendig die mentale Präsenz der Existenzgewissheit des mit sich selbst identischen Subjekts."
Rainer KohlmayerVorschlag zur Reduktion von Komplexität bei schwierigen Entscheidungssituationen in demokratischen Gremien sowie zur Beseitigung unnötiger bürokratischer Formalitäten. - "Ich!"
Rainer KohlmayerStilkritik. - Es gibt Formulierungen, denen man die stilistische Perücke abnehmen muß, um die Nichtigkeit des Gedankens zu beweisen.
Rainer KohlmayerEffi Briest. - "Sach mal, kannste mir vielleich sachn, also ick hab det janze Buch durchjelesn, aber - janz ehrlich - ick weeß immer noch nich, wat 'briesen' bedeutet..."
Rainer KohlmayerProf. Dr. YZ. - Seit Jahren hat er nichts Wichtiges publiziert, baut aber in jeder Sitzung eloquent sein Potemkinsches Dörfchen auf.
Rainer KohlmayerMit den philosophischen Gedanken verhält es sich wie mit den Regenwürmern: Sie zeigen sich nur bei schlechtem Wetter.
Rainer KohlmayerPraxisbezogene Theorie. - Als das Karussellpferd müde, störrisch und aufsässig wurde, machte der Menageriebesitzer eine kleine Pause und zog dem Tier den Doktorhut der Karussellpferdtheorie über den Kopf. Stolz trabte es weiter.
Rainer KohlmayerBloß keine Blöße zeigen. - In Sätzen, die als Meinungsäußerung von beamteten Wissenschaftlern gelten dürfen, herrscht das Gesetz des kategorischen Konjunktivs: "Ich möchte meinen wollen...", "Man könnte der Ansicht sein..."
Rainer KohlmayerProzeß der Zivilisation. - Gibt es eine nachdrücklichere Anleitung zur Selbstbeherrschung, Demut, Bescheidenheit als den täglichen Stau auf der Autobahn? Aber die Auslese ist hart: entweder heiligmäßige Sanftmut oder früher Herzinfarkt.
Rainer KohlmayerSo oder so. - Es gibt zwei Richtungen der modernen Übersetzungswissenschaft. Die eine behauptet, um richtig übersetzen zu können, müsse der Mensch eine Maschine sein. Die andere: Um richtig übersetzen zu können, müsse die Maschine ein Mensch sein.
Rainer KohlmayerKonsequenz. - Wenn der Bock zum Gärtner gemacht wird, soll man sich nicht wundern, wenn die Gärtner bocken.
Rainer Kohlmayer